Warum Impfgegner in der COVID-19 Pandemie meine Freiheitsrechte einschränken
Ich weiß, dass es sehr vielen Leuten in unserer Gesellschaft so geht, wie ich es selbst gerade bei mir und meinem Umfeld erlebe. Und um es hier einmal vorwegzunehmen, ich bin 49 Jahre alt, zweifach mit BioNTech geimpft und dies zu dem für mich frühestmöglich realisierbaren Zeitpunkt.
Wenn man diese zwei Sätze liest und nicht ganz vor der medialen Bildfläche der letzten 18 Monate abgetaucht war, werden die meisten schon Standpunkt, Inhalt und Tenor der nächsten Absätze zu erahnen glauben. Also nur ein weiterer verzweifelter Versuch, die Impfverweigerer, Aluhut-Träger, Verschwörungstheoretiker & Co. aus dem Blickwinkel eines Geimpften zu bekehren?
Nein. Dieses Mal nicht, denn eigentlich hatte ich es innerlich längst aufgegeben, diese verbleibende Gruppe zu überzeugen. Dies wird auch mit Argumenten aus Statistiken, der Wissenschaft, der Ärzte und finanziellen oder sonstigen Zuwendungen nicht mehr im ausreichenden Maße gelingen.
Denn geht man einmal analytisch an den Verlauf solcher Diskussionen heran, zeigt sich für mich ein klares Verhaltensmuster: Jegliche Fakten, so untermauert und gefestigt sie auch sein mögen, werden in Frage gestellt. Diesen werden dann eigene Fakten gegenüber oder noch darüber gestellt, die angeblich ebenfalls genauso untermauert und von der Wissenschaft erwiesen sind. Alle Pro-Argumente und die breite Masse der Wissenschaftler, die diese vertreten, werden unter den Generalverdacht gestellt, von wahlweise der herrschenden politischen Klasse, von korrupten und zu allem bereiten Großunternehmern oder auch von einer extraterrestrischen Macht gesteuert zu sein.
Das Spektrum dieser Argumente reicht vom angeblichen Ende des aktuellen wirtschaftlichen und politischen Systems, welches durch eine gesteuerte Pandemie zurückgesetzt und wieder in ein Wachstum von einem niedrigen Plateau versetzt werden soll, bis hin zu Weltherrschaftsspekulationen durch eine kleine Gruppe von Superreichen. Das Chippen im Rahmen der Impfung durch Bill Gates und vergleichbaren Unfug lasse ich hier mal gänzlich beiseite.
Warum wir hier mit ungleichen Waffen kämpfen?
Das Abwehrprinzip ist genauso einfach wie wirksam: Es wird stets alles in Frage gestellt und vermeintlich zur eigenen Meinung passende Beispiele groß und übergroß als wirkliche eigentliche Wahrheit präsentiert. Dass dabei diese eigenen Fakten mit Argumenten der gleichen Gruppe (Wissenschaft, Ärzte, Politiker) untermauert werden, stört aus dieser Gruppe offenbar niemanden. Notfalls werden kurzerhand die Wissenschaftler in zwei Teile untergliedert: In dies Gruppe der allwissenden und unabhängig von allen forschenden. Und in die Gruppe, die vom System gesteuert sind und alles manipulieren. Dass man hierbei einen simplen objektiven Blick auf die Anzahl aus beiden Gruppen vermeidet, ist symptomatisch – und es passt ja nicht ins eigene Bild. Reichen diese Argumente nicht aus, werden Beschränkungen der persönlichen Freiheit und der Menschenrechte ins Feld geführt.
Spätestens jetzt sollte jedem klar werden, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird und die Waffen auf beiden Seiten so ungleich sind. Wenn man stets alle Fakten in Frage stellt und an deren Stelle wiederholt die eigenen Fakten stellt, wenn man das System an sich in Frage stellt und hinter jedem Argument und jeder Erkenntnis aus der Wissenschaft einen Manipulationsversuch der herrschenden Klasse vermutet, wird man immer die passende Antwort haben.
Das Problem ist …
Eine Seite versucht Argumente auf dem Niveau von Verschwörungstheorien zu vermeiden und führt Wissenschaft, Ärzteschaft, Statistiken und Erfahrungen ins Feld. Die andere Seite gibt einen feuchten Kehricht auf eine fundierte Argumentation und stellt immer alles aus der anderen Seite in Frage.
Kurz: Die Contra-Seite stellt sich als Individuum ganz in das Zentrum ihrer Argumentation und ist zutiefst egoistisch. „ICH lasse mich nicht in meiner Freiheit beschneiden“, „ICH unterwerfe mich nicht dem System der herrschenden“, „ICH glaube nicht an die Wissenschaft, die sowieso nur fremdgesteuert im Sinne der Grußunternehmen arbeitet und argumentiert“.
Blaue Haare
Ginge es hier um die Frage, ob man sich seine Haare blau färbt, und würden Teile der Wissenschaft und Ärzte davor warnen, dass man mit blauen Haaren 10 Jahre früher sterben könnte. Ja, dann überlasse ich es gerne einem jeden selbst, ob er sich mit blauen Haaren durch die Welt bewegen möchte und dann möglicherweise früher aus dem Leben scheidet. MICH betrifft das nicht und das bisschen mehr Blau in meiner Umgebung muss ich dann hinnehmen.
Egoistisch gesprochen: Es interessiert mich nicht wirklich, weil es mich persönlich und meine Familie nicht unmittelbar betrifft und weil es mein Leben nicht nachhaltig beeinflusst oder einschränkt.
Bei COVID-19 ist es eben anders
Aber bei COVID-19 geht es eben nicht um die blauen Haare der anderen. Hier geht es unmittelbar um ein gesundheitliches Risiko von MIR und meiner Familie. Und dann wird jeder, der sich nicht impfen lässt, zu einem Risiko für MICH und ist Grund für Einschränkungen MEINER persönlichen Freiheiten und MEINER wirtschaftlichen Situation. Und so wie mir im Kleinen geht es mittlerweile einem Großteil unserer Bevölkerung.
Stand 10.09.2021 sind 85,6% aller im Alter ab 60 Jahren und 77,1% im Alter von 18-59 Jahre mindestens einmal geimpft. Bei Jugendlichen im Alter von 12-17 Jahre sind es mittlerweile 36% (Quelle: RKI). Die Gruppe derjenigen, die sich nun vehement gegen das Impfen sträuben, schränkt somit diese große Mehrheit unserer Gesellschaft weiterhin ein.
Solange das Virus noch ausreichend Wirte findet, wird es sich weiterverbreiten und vor allem stetig neue Mutationen hervorbringen. Das ist so, seitdem es Viren auf unserer Erde gibt und keine Besonderheit von COVID-19. Und es ist vor allem nichts, was mit irgendwelchen fadenscheinigen Argumenten ernsthaft in Frage gestellt werden kann.
Insgesamt kann ich die Beschwerden der Impfgegner nicht akzeptieren, dass sie nun zunehmend genötigt werden, sich doch impfen lassen. Sie verkennen vollkommen, dass sie nicht isoliert in dieser Gesellschaft existieren und dass genau ihr Tun die persönlichen Freiheiten einer viel größeren Gruppe von Menschen massiv einschränkt und eine Pandemie am Laufen hält.
Und nun?
Ich werde Bekehrungsversuchen und Argumentationen der Impfgegner sehr viel egoistischer entgegentreten. Ich werde mich nicht mehr in endlose und fruchtlose Diskussionen verwickeln lassen, in denen die Fakten einer breiten Wissenschaft und vor allem die Erfahrungen der letzten 300 Jahre systematisch in Frage gestellt werden.
“Leute, wenn ihr die aktuelle Situation, die Einschränkungen, das Leid vieler Patienten, die gesellschaftliche Spaltung und die wirtschaftlichen Belastungen ernsthaft beendet sehen möchtet, dann zeigt bitte Menschlichkeit und zeigt Zusammenhalt und lasst euch endlich impfen.
Und ich werde nicht müde werden, dies jedem zu sagen ….
Links
Vielleicht werde ich dem einen oder anderen die Lektüre des allgemeinen Wikipedia Artikels zum Thema Impfen (https://de.wikipedia.org/wiki/Impfung) empfehlen.
Und ich empfehle auch folgenden Blogbeitrag von Tim Cole zur einem Im September in der New York Times erschienenen Leitartikel unter http://www.cole.de/der-unertraegliche-appell-an-die-freiheit-die-impfgegner-meinen/
Titelbild Quelle: obs/3sat/ZDF/Florian Henke/Kobalt Product